Das Leben und den Glauben zum Klingen bringen

Pueri Cantores setzen mit Chortreffen ein Zeichen der Zuversicht und des Aufbruchs

Von Marius Linnenborn

Für Chöre war die Zeit seit dem Frühjahr 2020 eine große Herausforderung, galt Singen in Gemeinschaft doch als besonders gefährlich. Teststrategien wurden entwickelt, um die Gefahr einer Infektion möglichst weit zu reduzieren. Vor Ort hing es dann jeweils vom Engagement der Chorleitung ab, wann und in welcher Form die Probenarbeit und der Gesang in der Liturgie wieder aufgenommen wurde. Auch über digitale Formate hielten Chorleiterinnen und Chorleiter Kontakt mit ihren Chormitgliedern, um deren stimmliche Entwicklung zu begleiten und weiter zu fördern. So konnten die Kinder- und Jugendchöre im Deutschen Chorverband Pueri Cantores die Herausforderungen dieser Zeit zumeist recht gut bewältigen.

In diesem Jahr können nun auch wieder Chorfestivals und Begegnungen stattfinden, die für das Leben der Chöre so wichtig sind. In großer Gemeinschaft erleben die jungen Sängerinnen und Sänger, wie das gemeinsame Singen verbindet, Freude und Zuversicht schenkt – gerade in den aktuellen Krisen. Sie setzen damit ein Zeichen des Aufbruchs und zeigen durch ihre fröhliche Lebendigkeit, dass das Leben auch im Raum der Kirche Zukunft hat. Seit der Gründung des Internationalen Verbandes Pueri Cantores nach dem Zweiten Weltkrieg sind gerade das Singen und Beten für die Versöhnung und den Frieden ein zentrales Element seines Engagements. Der Gründer der heute in mehr als 40 Ländern vertretenen Chorvereinigung, der französische Priester und Chorleiter Fernand Maillet (1896–1963), hatte den jungen Sängern eine Vision mit auf den Weg gegeben: „Morgen werden alle Kinder der Welt den Frieden Gottes singen.“

Mit nahezu 500 Chören und 20000 jungen Sängerinnen und Sängern ist der 1951 ins Leben gerufene Deutsche Chorverband Pueri Cantores heute der stärkste Nationalverband. Zwischen Juni und Oktober fanden bzw. finden Chortreffen auf diözesaner und regionaler Ebene, im nationalen und internationalen Rahmen statt. 2500 junge Sängerinnen und Sänger aus verschiedenen Ländern versammelten sich im Juli zum Internationalen Pueri-Cantores-Kongress in Florenz, davon fast die Hälfte aus Deutschland, und feierten ein großes Fest des Singens und der Begegnung.

Jetzt kamen rund 500 Sänger aus Knabenchören in Essen zusammen. Zwölf Chöre, unter ihnen auch zwei evangelische Gastchöre, brachten beim Friedensgebet und bei der sonntäglichen Eucharistiefeier den Essener Dom stimmgewaltig zum Klingen, und in der Philharmonie stellten sieben Chöre in Einzelvorträgen ihr Können mit Werken verschiedener Epochen bis in die Gegenwart vor großem Publikum unter Beweis. Bischof Franz-Josef Overbeck dankte den jungen Sängern für ihr großes Engagement, das im gegenseitigen Zuhören stets achtsam bleibe und Gottes wunderbare Schönheit zum Ausdruck bringe. Overbeck betonte in seiner Predigt: „Es geht nicht um irgendeine Musik, die zu singen ist, nicht um eine, die einfach nur lärmend ist oder sinnbetörend, eine nach außen gewendete und eine, die betäubt, die wegreißt von sich selbst, die möglicherweise sogar das innere Gehör verstopft und so das innere Singen verstummen lässt. Es geht vielmehr um eine sich neu erschließende Innerlichkeit, die immer wieder von einem echten Singen durchzogen sein muss, dem es um das Lied Gottes geht, das ein Lied des Friedens und der Gemeinschaft, ein Lied der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, ein Lied der Zärtlichkeit und der Liebe ist.“

Durch die Pandemie und die Einschränkungen, die gerade das gemeinsame Singen und die Nachwuchswerbung in Schulen betrafen, wurden insbesondere Knabenchöre vor existentielle Herausforderungen gestellt. Da die Zeit der Knabenstimme durch den immer früher einsetzenden Stimmwechsel zur Männerstimme eng begrenzt ist, bleibt ein Knabenchor allein durch kontinuierliche Erneuerung lebendig. Nur wenn jedes Jahr eine ausreichende Zahl von Jungen die musikalische Ausbildung beginnt, kann ein Knabenchor sein Niveau halten. Häufig beginnen die Chöre und Singschulen daher schon im Vorschulalter mit einer spielerischen und altersgemäßen Ausbildung der Stimme. Erfreulicherweise lassen sich vielerorts wieder zahlreiche Mädchen und Jungen für das Singen im Chor begeistern.

Freilich wirkt sich die allgemeine gesellschaftliche und kirchliche Entwicklung zunehmend auf die Arbeit kirchlicher Chöre aus, die regelmäßig im Gottesdienst singen. Längst ist es nicht mehr selbstverständlich, dass Eltern, die ihre Kinder sonntags zur Kirche bringen, auch den Gottesdienst mitfeiern. In nicht wenigen Dom- und städtischen Zentralkirchen leben aber die Gottesdienste gerade davon, dass ein Chor singt und Familienangehörige mitfeiern. Die Verantwortung, die dabei den haupt- und nebenamtlichen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern zukommt, ist kaum zu überschätzen. Sie führen ihre Chormitglieder nicht nur in die Welt der Musik ein, sondern ermöglichen ihnen ein altersgemäßes Hineinwachsen in den Glauben und in die Feier der Liturgie, indem sie mit ihnen über die Texte der geistlichen Werke sprechen, die Feste des Kirchenjahrs und den Gottesdienst altersgemäß erklären.

Wer im Kindes- und Jugendalter mehrere Jahre lang in einem kirchlichen Chor singt, kann in dieser Gemeinschaft eine intensive Persönlichkeits- und Glaubensbildung erfahren. Die jungen Sängerinnen und Sänger erleben altersgemäß, dass sie in der Kirche einen Platz und eine Aufgabe haben, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stimme einbringen können. Die damit verbundene Beschäftigung mit Glaubensfragen führt nicht selten auch zum Wunsch nach der Taufe. Im gemeinsamen Singen wird das Leben zum Resonanzraum des Evangeliums. Der Glaube kommt zum Klingen und kann die tieferen Schichten der Seele anrühren. So bildet die Mitwirkung in einem Chor ein starkes Potential kirchlicher Jugendarbeit und birgt pastorale und katechetische Chancen, die jede Wertschätzung und Unterstützung der Verantwortlichen in den Pfarreien und Diözesen verdienen.

AUTOR
Marius Linnenborn Dr. theol., Priester des Bistums Essen, Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier und Geistlicher Beirat des Deutschen Chorverbandes Pueri Cantores

Veröffentlicht in: Christ in der Gegenwart 40/2022, S.17 | Zum Download des Textes