Wenn Menschen aus verschiedenen Religionen miteinander musizieren, dann treffen zumeist unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Religionen aufeinander. Für die Planung eines solchen Projektes sind transkulturelle und gleichzeitig interreligiöse Kompetenzen nötig. Dieser Artikel zeigt Wege, wie ein interreligiöses und transkulturelles Musizieren gelingen kann.

 

Transkulturelle Musikprojekte

Im ersten Teil wird die Planung transkultureller Musikprojekte beschrieben, im zweiten Teil wird die Vorgehensweise für interreligiöse Musikprojekte dargestellt und der dritte Teil präsentiert den Interreligiösen Chor Frankfurt als Praxisbeispiel. Im Anhang gibt es eine weiterführende Materialsammlung mit Noten und Praxishilfen.
Wie können sich nun Menschen mit unterschiedlicher kultureller Herkunft, verschiedenem Sozialstatus und mit unterschiedlichen musikalischen Kompetenzen in das gemeinsame Musizieren einbringen?

Kooperationen
Wenn man Menschen aus einem bestimmten Bereich erreichen möchte, dann bieten sich zunächst Kooperationen an. Sollen beispielsweise Menschen aus einem bestimmten Stadtteil für das Projekt gewonnen werden, kann das Quartiersmanagement ein hilfreicher erster Ansprechpartner sein. Möchte man Menschen mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit erreichen, kann der örtliche Rat der Religionen einbezogen werden. Diese Organisationen verweisen auf weitere Fachleute, die Informationen, Tipps und Hilfestellungen geben. Aus all diesen Kontakten kann ein Netzwerk entstehen, das das gesamte Musikprojekt unterstützt.

Persönlicher Kontakt
Das gemeinsame Musizieren in der Vielfalt braucht vor allem einen lebendigen Austausch, ein Einlassen auf neue Wege und ein Kennenlernen des bisher Unbekannten. Der persönliche Kontakt kann dabei helfen, die gegenseitige Akzeptanz zu fördern.

Arbeitsweise
Deshalb sollte die Arbeitsweise im Musizierprojekt alle Teilnehmenden von Anfang an miteinbeziehen und ergebnisoffen sein. Wenn sich alle Teilnehmenden einbringen können, sind sie für das Projekt motivierter und finden ihre Rolle darin.

Mögliche Schwierigkeiten
In der Planungsphase sollten auch mögliche Schwierigkeiten durchdacht werden:

  • Wie können Sprachbarrieren überwunden werden? Gibt es im Netzwerk Dolmetscher:innen?
  • Aus welchen musikalischen Traditionen kommen die Teilnehmenden? Sind sie es gewohnt, verbindlich an einem Musikprojekt teilzunehmen? Kann ein/e Ansprechpartner:in aus dem Netzwerk helfen oder als Pat:in unterstützen?
    (Quelle: Marleen Mützlaff: Wenn Kulturen sich begegnen. Anregungen zur Planung und Durchführung interkultureller Ensemblearbeit, in: üben & musizieren 3/2019.)

 

Interreligiöse Musikprojekte

Die interreligiöse Bewegung Trimum beschäftigt sich intensiv mit dem gemeinsamen Singen von Juden, Christen und Muslimen. Die Herangehensweise von Trimum kann als Modell für eigene Projekte Pate stehen:

Schritt 1
Im ersten Schritt geht es um das gegenseitige Kennenlernen der musikalischen Traditionen. Unter dem Motto „Wie klingt, was Du glaubst?“ werden Musikwerke der verschiedenen Glaubenstraditionen vorgestellt und respektvoll wahrgenommen. Das kann beispielsweise in gemeinsam gestalteten Konzerten geschehen.

Schritt 2
Im zweiten Schritt wird eine musikalische Gastfreundschaft praktiziert. Juden, Christen und Muslime musizieren Werke aus ihren Traditionen gemeinsam; wichtig ist, dass jede:r nur dort mitsingt, wo es zu seinen/ihren Glaubensüberzeugungen passt und respektvoll schweigt, wo das nicht möglich ist.

Schritt 3
Im dritten Schritt wird gemeinsam gesungen und musiziert. Auch hier ist es wichtig, dass niemandem eine Tradition gegen seine Überzeugung aufgezwungen wird. Dies können Lieder sein, die für alle drei Religionen vertretbar sind. Zum Beispiel die erste Strophe des Liedes „Großer Gott wir loben dich“, das man im interreligiösen Liederheft Trimum in türkischer, arabischer, hebräischer und deutscher Sprache Textunterlegung findet. Oder das ägyptische Friedenslied Salam, das im Liederheft Trimum in Orginalsprache mit Übersetzung abgedruckt ist (S.12/S.30). Auch in dieser Arbeitsphase kann es immer wieder zu Situationen kommen, in der einzelne Passagen für bestimmte Sänger:innen aus religiösen Gründen nicht singbar sind. Diese Unterschiede sollen respektiert werden.

Verschiedenheiten künstlerisch ausdrücken
Improvisatorische und dramaturgische Konzepte können dabei helfen, die Verschiedenheiten zu thematisieren und künstlerisch auszudrücken. Hier eine Vorgehensweise von Bernhard König:

  • Man möchte gemeinsam ein religiöses Lied singen.
  • Zunächst erlernen alle die Melodie auf Tonsilbe, ohne Text.
  • Danach gibt es eine Phase mit Textarbeit, in der alle Mitsingenden den Text erhalten und für sich die Passagen markieren, die aus ihrer Sicht mit ihrer Herkunftsreligion vereinbar sind.
  • Beim gemeinsamen Singen des Liedes werden die markierten Teile im Stehen gesungen. Während der nicht-markierten Teile sitzen die Sänger:innen auf ihren Stühlen und summen den Grundton des Liedes.
    (Quelle: Bernhard König, Tuba Isik, Cordula Heupts (Hg.): Singen als interreligiöse Begegnung. Musik für Juden Christen und Muslime, S.15.)

Fortlaufender Austausch
Grundsätzlich sollten beim interreligiösen Musizieren alle aufkommenden Fragen mit den Teilnehmenden diskutiert werden. Genau wie beim transkulturellen Musizieren beschrieben, handelt es sich bei jedem Projekt um einen neuen, ergebnisoffenen Prozess. Auch hier kann es hilfreich sein, den Austausch mit Fachleuten wie Theolog:innen oder Musiker:innen anderer Kulturen zu suchen.

 

Der Interreligiöse Chor Frankfurt

Musikalische Kooperationen mit Musiker:innen verschiedener kultureller Traditionen bilden die musikalische Grundlage für das interreligiöse Musizieren. Deshalb leitet die evangelische Kirchenmusikerin Bettina Strübel den Interreligiösen Chor Frankfurt zusammen mit dem jüdischen Kantor Daniel Kempin.

Klangcollagen
Bettina Strübel empfiehlt für das gemeinsame Musizieren Klangcollagen aus Musikstücken verschiedener Traditionen. Man kann Lieder oder Werke aussuchen, die ein gemeinsames Oberthema haben, und diese musikalisch miteinander verschränken. Die Wirkung solcher Kollagen kann man in den Konzertmitschnitten des Interreligiösen Chores nachvollziehen.

Improvisationen
Auch Chorimprovisationen aus kleinen Motiven der verschiedenen musikalischen Traditionen können zu musikalischer Begegnung führen. Ebenso sind freie Improvisationen möglich, wie bei der Psalm-Performance:

  • Die Psalmen finden sich in sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Tradition. Es handelt sich um 150 Liedtexte, die in der Thora oder der Bibel zu finden sind und die in Verse unterteilt sind.
  • Zunächst wird ein Psalm ausgewählt.
  • Dann wird das Ensemble in so viele Kleingruppen eingeteilt, wie der Psalm Verse hat.
  • Jede Kleingruppe erarbeitet innerhalb von zehn Minuten ihre individuelle Performance zu ihrem Vers. Dabei ist jede Ausdrucksart vom Singen, Sprechen über szenische Darstellung erlaubt.
  • Bei der abschließenden Psalm-Performance gestalten die Kleingruppen ihren erarbeiteten Vers in der Reihenfolge des ursprünglichen Psalmtextes. Wichtig ist, dass die einzelnen Performances nahtlos hintereinander präsentiert werden.

Auftragskompositionen
Wer sich mit Musiktraditionen in den verschiedenen Religionen beschäftigt, wird merken, dass es kaum muslimische Musikwerke zu religiösen Themen gibt. Aus diesem Grund werden Auftragskompositionen vergeben, in denen die Texte der verschiedenen Religionen aufgenommen werden. Die Kompositionsaufträge gehen an Komponist:innen der Kulturräume, die bewusst einbezogen werden sollen. Ein Beispiel dafür ist der arabische Komponist Saad Thamir, der unter anderem die Stücke „Unter gleichem Himmel“ oder „Anderswo“ für westliches Streichquartett und arabische Saitenintsrumente komponiert hat. All diese Bemühungen können Fremdheit überwinden, können Integration fördern und können religiösem Fanatismus etwas Schönes und Friedvolles entgegensetzen. In den Worten von Bernhard König:

„Wie schön ist es, wenn Fremdheit weicht, wenn man erfährt, wieviel sich gleicht, und das, was fremd war, achtet. Schön, wenn man durch geteilte Zeit die Angst vor Andersartigkeit auf sanfte Art entmachtet. Darum lass dich an dem neuen Blick erfreuen ohne Scheuen: Sei nicht vorurteilsumnachtet.“ (Trimum, S.19)

 

Weitere Beispielprojekte

Abrahams Kinder, Cantara, Kulturbrücken, Musik und sakraler Raum, SingasylumBegegnungschor Berlin, Stimm.Recht – ein Integrationschor, musikbewegt!

 

Noten und Arbeitsmaterialien

 

Aus-, Fort- und Weiterbildungen

Für alle, die sich in dem Thema fortbilden möchten, gibt es die Orientalische Musikakademie Mannheim und das Center of World Music der Uni Hildesheim sowie die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen, an der Fortbildungen zu den Themen Community Music und Weltmusik gemacht werden können.